Die Chancen und Risiken von Einsamkeit bei der Arbeit
Jede*r fünfte Beschäftigte in Deutschland fühlt sich sozial isoliert, unter remote arbeitenden sogar fast jede*r vierte, 32,5% der im Home Office arbeitenden vermissen soziale Kontakte. (Q.: social@work Studie der Barmer Gesundheitskasse).
Der Vorstand der deutschen Stiftung für Patientenschutz, Egen Brysch, spricht davon, dass Einsamkeit die größte Volkskrankheit in Deutschland ist. Einsamkeit wirke sich nicht nur auf die Psyche aus, sondern führe „nicht selten“ auch zu körperlichen Beschwerden (Q.: dpa)
Was bedeutet das für Arbeitgebende? Haben Unternehmen hier eine wichtige Fürsorgepflicht oder kann eine entsprechende Unternehmenskultur sogar Teil der Lösung für dieses gesellschaftliche Problem werden?
Einsamkeit als Stressfaktor
Von Geburt an sind Menschen soziale Wesen. Kein anderer Primat ist so lange von einer/m Versorgerin abhängig wie der Mensch, somit ist es fest in der DNA verankert, dass soziale Verbindungen Menschen das Gefühl von Sicherheit geben.
Das Gefühl von Isolation wiederum löst eine Alarmbereitschaft im Gehirn aus. Die Amygdala gibt Stresshormone ab, die einen Fight (Kampf) oder Flight (Flucht) Modus zur Folge haben. Ein Zustand, der nachweislich negative Auswirkungen auf Gesundheit und soziale Kompetenzen hat. Ein Teufelskreis kann sich in Gang setzen.
Menschen, die sich bereits in einer Einsamkeitsspirale befinden, empfinden Menschenmengen, Firmenevents und Team Meetings oft als unangenehm, einengend und teilweise sogar als bedrohlich. Derartige Veranstaltungen lösen also für Betroffene oft noch mehr Stress aus.
Einsamkeit und hybrides Arbeiten
Einsamkeit ist das subjektive Gefühl, zu wenig Kontakte zu haben und keine Nähe zu anderen Menschen zu spüren (Hawkley & Cacioppo, 2010). Das subjektive Einsamkeitserleben ist nicht zwangsläufig an faktisches Alleinsein gekoppelt.
Wenn Unternehmen Einsamkeit als Grund nennen für die Auflösung von flexiblen Arbeitsmodellen und alternativlose Rückholstrategien aus dem Home Office anordnen, gehen sie also davon aus, dass ihre Mitarbeitenden nicht in der Lage sind ein angemessenes Maß an sozialen Kontakten eigenmächtig sicherzustellen. Entsprechend kennen sie ihnen in dieser Hinsicht die Kompetenz zur Psychohygiene ab.
Keine Berücksichtigung findet bei dieser Strategie, dass soziale Kontakte nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ gewährleistet sein müssen. Ein Bürozwang kann entsprechend als Vertrauensmissbrauch wahrgenommen werden, der die Beziehung zu den Mitarbeitenden so stark belastet, dass sie ein größeres Gefühl der Isolation hervorrufen kann als die räumliche Distanz.
Die drei Bs gegen Einsamkeit im Unternehmen
Das Bundesprogramm Demokratie leben! des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, beschäftigt sich seit 2021 mit der Frage, wie bei jungen Menschen Einsamkeitserfahrungen mit antidemokratischen Tendenzen bis hin zu extremistischen Denkmustern zusammenhängen. Sie haben einen Leitfaden zur Prävention von Einsamkeit und für die Stärkung von Mitbestimmung- und Zugehörigkeitsempfinden entwickelt, dessen Anwendung auch im Unternehmenskontext als sinnvoll erscheint. Dieser besteht aus den drei Bs:
Beachtung
Potenzialentfaltung und Klarheit über die eigenen Bedürfnisse ist bei der Arbeit von Y2B immer der erste Schritt für die Etablierung von gesünderen Arbeitsstrukturen. Dabei ist es enorm wichtig, dass Unternehmen verstehen, dass Arbeitnehmende unterschiedliche Bedürfnisse haben. In Bezug auf Einsamkeit haben Geschlecht, Bildungsniveau, Lebensumstände und Alter nachweisliche Auswirkungen auf eine mögliche Gefährdung (Q.: Deutscher Einsamkeitsbarometer 2024).
Diese unterschiedlichen Bedürfnisse werden von Y2B im Dialog herausgearbeitet und auf Deckungsgleichheit mit den Arbeitsanforderungen überprüft werden. Nur wenn die Bedürfnisse der Mitarbeitenden Beachtung finden, kann ein vertrauensvolles Miteinander entstehen, das dem Gefühl von Einsamkeit am Arbeitsplatz entgegenwirken kann.
Bildung
Workshops, regelmäßige Kurse und Impulse helfen dabei erste Anzeichen für Einsamkeit besser erkennen zu können und Skills & Strategien dagegen in den Arbeitsalltag zu integrieren.
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Beteiligung
Jede Strategie und einzelne Maßnahme leben in erster Linie davon, dass sie im Alltag umgesetzt werden. Das Sommerfest, bei dem über Kolleg*innen gelästert wird, die Montagsrunde, in der die Führungskraft lange Monologe hält, das Wellbeing Angebot, das aufgrund anderer Prioritäten immer wieder ausfallen muss oder das Feedback Gespräch, das zwischen Tür und Angel stattfindet, bieten weder Präventions- noch Bekämpfungspotenzial gegen Einsamkeit.
Regelmäßiger Austausch, bewusste Reflexion, wertschätzende Dialoge und kontinuierliche Anpassungen an die Bedürfnisse im Team sollten stattdessen die Grundlage für die Unternehmenskultur werden. Dann kann der Arbeitsplatz zur Lösung statt zur Ursache für Einsamkeit werden.
Allein statt einsam
Trotz jeglicher Tools und Strategien wird jede*r Einzelne früher oder später mal der Einsamkeit zum Opfer fallen. Ähnlich wie bei Hunger, Durst oder Müdigkeit, kann es allerdings auch mal ganz angenehm sein, weil Essen, Trinken, Schlaf oder in diesem Fall vertrauensvolle, soziale Interaktionen sich danach wie eine echte Erlösung anfühlen können. Durch den Verzicht wird der Bedarf erst so richtig bewusst, was eine wichtige Selbsterkenntnis sein kann. Darüber hinaus kann der vorhergegangene Verzicht ein Gefühl von Dankbarkeit zur Folge haben und somit einen wichtigen Creator für Glücksmomente werden.
Wichtig ist dabei auch zu verstehen, dass allein sein nicht zwangsläufig ein Gefühl von Einsamkeit hervorruft. Tatsächlich fördert das Wohlfühlen mit sich selbst und den eigenen Gedanken die Empathie Fähigkeit, ein gesundes Selbstbewusstsein und eine realistische Selbstwahrnehmung; alles wichtige Fähigkeiten, um soziale Kontakte zu knüpfen und auszubauen.
Wenn dennoch aus allein sein, sich einsam fühlen wird, können diese Tipps Abhilfe verschaffen:
Tipps gegen Einsamkeit bei der Arbeit
- Verbringe Arbeitspausen mit Kolleg*innen. Statt in großer Runde am Mittagstisch unterzugehen, verabrede Dich ganz bewusst mit einer Kollegin oder einem Kollegen mit dem/der ein echter, vertrauensvoller Dialog entstehen kann. Wenn Du aus dem Home Office heraus arbeitest, kann es auch ein Online Lunch sein.
- Halte Ausschau nach Foren, Netzwerken und/oder Communities, die sich in ähnlichen Arbeitsumfeldern bewegen. Der vertrauensvolle Austausch fällt meist leichter, wenn kein Konkurrenzgedanke aufkommen kann, dieser wird leider immer noch viel zu oft innerhalb von Unternehmen geschürt.
- Ein Bürohund oder andere Haustiere bei der Arbeit können nachweislich einen therapeutischen Effekt haben und stärken Deine mentale Gesundheit
- Ehrenamtliche Tätigkeit oder Mentoring Programme geben Dir das Gefühl gebraucht zu werden. Soziale Unterstützung ist nicht eindimensional und der Effekt des Gebens kann sogar stärker sein, als wenn Du von anderen unterstützt wirst.
- Wenn Du schon zu tief in der Einsamkeitsspirale drinsteckst, solltest Du Dich nicht davor scheuen professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Einzelsessions, Gruppen oder manchmal auch schon erste Online Sprechstunden können Dir dabei helfen einen für Dich passenden Ausweg aus der Einsamkeit zu finden.
Quellen:
https://www.progressives-zentrum.org/unsere-jugend-staerken/
https://sites.insead.edu/facultyresearch/research/doc.cfm?did=71846